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Kein WLAN: Anfechtung von Softwareüberlassungsvertrag wegen Irrtums

Digitale Vertragsbeziehungen, insbesondere im Bereich der Softwareüberlassung, zeichnen sich durch Komplexität, Standardisierung und hohe Informationsasymmetrie aus. Der Nutzer verlässt sich auf die technische Funktionalität, während der Anbieter seine Leistung präzise umrissen wissen will.

Kommt es zu Missverständnissen über technische Voraussetzungen, stellt sich schnell die Frage, ob das Rechtsgeschäft Bestand hat – oder ob ein Irrtum vorliegt, der zur Anfechtung berechtigt. Zwei Entscheidungen – das Urteil des LG Kleve (1 O 166/22) und der Hinweisbeschluss des OLG Düsseldorf (10 U 70/23) – zeigen eindrucksvoll, wie diese dogmatischen Fragen in der rechtlichen Praxis konkretisiert werden.

Der Fall: Verdeckte Systemanforderungen und enttäuschte Erwartungen

Die Klägerin, ein Softwarehaus, hatte mit einem Bauunternehmen – der Beklagten – einen befristeten Mietvertrag über die Nutzung ihrer Branchensoftware geschlossen. Der Vertrag kam standardisiert per Angebot, Leistungsbeschreibung und Einbeziehung der AGB zustande. Die Besonderheit: Für die Nutzung der Software an mehreren Arbeitsplätzen war ein kabelgebundenes Netzwerk (LAN) erforderlich – eine Voraussetzung, die der Beklagten nicht bewusst war und die in ihrer Arbeitsumgebung (WLAN) nicht gegeben war.

Nach erfolgloser Installation und aufkommender Unbrauchbarkeit erklärte die Beklagte – zunächst per Kündigung, später anwaltlich – die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums. Die Klägerin klagte auf Zahlung der restlichen Vergütung. Die Beklagte erhob Widerklage auf Rückzahlung bereits geleisteter Beträge. Das Landgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage statt – das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung vollumfänglich im Berufungsverfahren durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO.

Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums: Systemvoraussetzungen als verkehrswesentliche Eigenschaft

Kern der rechtlichen Würdigung ist § 119 Abs. 2 BGB. Die Beklagte unterlag einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Software – nämlich über deren technische Nutzbarkeit in einem WLAN-basierten Arbeitsumfeld. Beide Instanzen betonen, dass Systemvoraussetzungen, die aus der Software selbst hervorgehen und deren Einsatzfähigkeit determinieren, Eigenschaften im Sinne der Norm sind. Denn die Frage, ob eine Software in einem konkreten Netzwerkkontext überhaupt verwendbar ist, ist für die Wertschätzung und den praktischen Nutzen maßgeblich.

Wichtig ist dabei auch die Perspektive der Beklagten: In der Präsentation der Software wurde ihr suggeriert, die Anwendung könne unter ihren betrieblichen Bedingungen problemlos eingesetzt werden. Dass eine kabelgebundene Netzwerkinfrastruktur Voraussetzung war, blieb unerwähnt. Die Beklagte ging erkennbar davon aus, ein funktionierendes System zu erwerben – ohne zusätzliche technische Aufrüstungen vornehmen zu müssen. Diese Annahme war irrig und wurde für den Vertragsschluss kausal.

Vertragsinhalt und Inbezugnahme technischer Spezifikationen

Ein weiterer zentraler Aspekt beider Entscheidungen betrifft die Frage, ob die Hard- und Softwarevoraussetzungen überhaupt wirksamer Bestandteil des Vertrags geworden waren. Die Anbieterin hatte zwar über Links auf ihrer Webseite entsprechende Angaben gemacht – diese waren jedoch nicht unmittelbar im Vertragstext oder den AGB verankert. Die Hinweise auf Systemvoraussetzungen erschienen lediglich als „Bitte beachten Sie…“-Verlinkungen in weiterführenden Dokumenten. Aus Sicht des Gerichts reichte dies nicht, um diese Voraussetzungen zum Vertragsinhalt zu machen.

Diese Auslegung betont die Rechtssicherheit im Massengeschäft: Es genügt nicht, dass technische Anforderungen irgendwo digital dokumentiert sind. Wenn sie für die Vertragserfüllung entscheidend sind, müssen sie ausdrücklich und klar in das Vertragswerk aufgenommen werden. Das OLG Düsseldorf führt dies mit der bemerkenswerten Analogie zum Papiervertrag weiter – auch dort würde ein bloßer Verweis auf eine zusätzliche Broschüre ohne konkrete Inbezugnahme keine Bindungswirkung entfalten.

Auslegung der Erklärung: Kündigung als Anfechtung

Von besonderer juristischer Finesse ist die Würdigung der Erklärungen der Beklagten. Sie hatte zunächst – rechtlich unpräzise – eine fristlose Kündigung ausgesprochen, sodann aber anwaltlich die Anfechtung erklärt. Beide Gerichte stellen klar, dass auch eine laienhafte Erklärung als Anfechtung ausgelegt werden kann, wenn der erkennbare Wille zur rückwirkenden Lösung vom Vertrag im Vordergrund steht. Die Rechtsprechung folgt hier dem Grundsatz aus § 133 BGB: Nicht der Wortlaut, sondern der objektiv erkennbare Erklärungsinhalt ist maßgeblich. Dass die Beklagte explizit auf ihren Irrtum hinwies und zugleich Rückzahlung forderte, genügte für die Annahme einer wirksamen Anfechtungserklärung.

Frist und Wirksamkeit

Auch die Anforderungen an die Unverzüglichkeit gemäß § 121 BGB waren erfüllt. Die Beklagte hatte nach dem gescheiterten Installationsversuch binnen acht Tagen reagiert – ein Zeitraum, den das LG Kleve als ausreichend ansah, zumal die Beklagte zunächst auf Rückmeldung seitens der Klägerin wartete. Das OLG Düsseldorf bestätigte diese Würdigung und hob hervor, dass keine Beweispflicht der Beklagten bestand, die behauptete Unkenntnis durch weiteres Nicht-Klicken auf einen Link zu beweisen – vielmehr lag die Darlegungslast beim Anfechtungsgegner.

Keine Verdrängung durch Mietgewährleistungsrecht

Die Klägerin wandte ein, dass die Vorschriften über die Gewährleistung im Mietrecht (§§ 536 ff. BGB) vorrangig seien und eine Anfechtung ausschließen. Auch dieser Argumentation traten die Gerichte entschieden entgegen. Da die Software nie nutzbar installiert wurde, sei es nie zur Gebrauchsüberlassung gekommen – ein klassischer Fall, in dem die allgemeinen Regeln über Willensmängel zur Anwendung gelangen. Der Mangel war nicht gegenständlicher Natur, sondern betraf die vertragliche Erwartung an die Nutzbarkeit – und damit das Zustandekommen des Vertrags selbst.

Wieder einmal ein Beispiel für falschen Geiz: Eigentlich war alles OK, aber schlechte Wortwahl und Struktur des Vertrags zerstören am Ende das Geschäft. Die ganze Geschichte verdeutlicht am Ende eindrücklich, warum gerade diese scheinbar einfachen Abläufe eine fachkundige Begleitung brauchen.

Ergebnis

In ihrer Kernaussage markieren die beiden Entscheidungen eine wichtige Grenzziehung im digitalen Vertragsrecht: Anbieter von Software müssen sicherstellen, dass technische Voraussetzungen eindeutig und wirksam in das Vertragsverhältnis eingebunden werden. Allgemeine Hinweise, Hyperlinks oder nachgelagerte Informationsangebote reichen nicht aus, wenn die Verwendbarkeit der Software entscheidend von diesen Bedingungen abhängt.

Gleichzeitig betonen die Gerichte die Autonomie und Schutzwürdigkeit der Nutzerseite: Wer in einem Irrtum über die technische Nutzbarkeit eines Produkts handelt, kann sich auch dann wirksam lösen, wenn er diesen Irrtum durch bloßes Schweigen des Anbieters begünstigt sieht. Die Entscheidungen machen deutlich, dass gerade im technisch geprägten Vertragsrecht rechtliche Klarheit über Voraussetzungen, Erklärungsinhalte und Mitwirkungspflichten unerlässlich ist – für beide Seiten.

IT-Fachanwalt, Ihr Rechtsanwalt für Softwarerecht bei sämtlichen Fragen rund um die Entwicklung und den Vertrieb von Software im professionellen Umfeld. Dazu auch das LinkedIn-Profil beachten!
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT-Recht)
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