In Streitigkeiten über gewerbliche Schutzrechte, insbesondere im Bereich der Softwareentwicklung, kommt es häufig vor, dass Gerichte die Besichtigung von IT-Systemen anordnen, um mögliche Rechtsverletzungen zu klären. Doch was passiert, wenn der Antragsgegner während oder nach der Besichtigung Änderungen an der Software vornimmt?
Das Landgericht Frankfurt am Main (2-06 O 233/25) hat nunmehr klargestellt, dass eine gerichtlich angeordnete Veränderungssperre nur so lange gilt, wie es für die Beweissicherung unbedingt notwendig ist. Die Entscheidung zeigt, wie Gerichte den Konflikt zwischen dem Interesse an einer lückenlosen Beweisführung und dem Schutz der Betriebsabläufe des Antragsgegners lösen.
Beweissicherung vs. Betriebsfortführung
Der Fall betraf eine Softwarefirma, die von einer Konkurrentin verdächtigt wurde, urheberrechtlich geschützte Elemente ihrer Software unrechtmäßig übernommen zu haben. Das Gericht hatte im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens die Besichtigung der streitgegenständlichen Software angeordnet und gleichzeitig eine Veränderungssperre verhängt, um sicherzustellen, dass die Beweismittel nicht manipuliert oder gelöscht werden. Die Antragstellerin beantragte, diese Sperre bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens – einschließlich möglicher Nachbegutachtungen – zu verlängern. Das Gericht lehnte dies ab und beschränkte die Sperre auf die Dauer der eigentlichen Besichtigung.
Zweck und Grenzen der Veränderungssperre
Das Landgericht Frankfurt betonte, dass eine Veränderungssperre im Rahmen des sogenannten Düsseldorfer Verfahrens – einem etablierten Instrument zur Beweissicherung in Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten – zwar notwendig sein kann, um die Integrität der Beweismittel zu gewährleisten. Allerdings sei eine solche Sperre ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte des Antragsgegners, insbesondere in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und das Eigentumsrecht (Art. 14 GG). Daher müsse sie auf das absolut Notwendige beschränkt bleiben.
Das Gericht verwies darauf, dass die Veränderungssperre während der Besichtigung dem Schutz der Beweismittel diene: Der Sachverständige solle die Software in dem Zustand untersuchen können, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Anordnung befinde. Sobald die Besichtigung jedoch abgeschlossen und die relevanten Daten gesichert seien, entfalle die Notwendigkeit für eine weitere Sperre. Eine Verlängerung bis zum Abschluss des Verfahrens wäre unverhältnismäßig, da sie den Antragsgegner über einen unbestimmten Zeitraum in seiner Betriebsführung einschränken würde.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Beweissicherung vs. Betriebsstörung: Ein zentrales Argument des Gerichts war der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zwar habe die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse daran, dass die Beweismittel nicht verändert werden. Dieses Interesse trete jedoch hinter dem Recht des Antragsgegners zurück, seine Software weiterzuentwickeln und seinen Geschäftsbetrieb ohne unnötige Behinderungen fortzuführen. Das Gericht wies darauf hin, dass das Risiko, dass nicht alle Beweismittel erfasst wurden, zum allgemeinen Prozessrisiko gehöre. Sollte sich später herausstellen, dass eine Nachbesichtigung erforderlich sei und der Antragsgegner in der Zwischenzeit relevante Daten gelöscht habe, könne dies im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

Klare Abgrenzung der Sperrdauer
Hier wird deutlich, dass Gerichte bei der Anordnung von Veränderungssperren eine sorgfältige Abwägung vornehmen müssen. Eine solche Sperre ist nur so lange gerechtfertigt, wie sie zur Sicherung der Beweismittel unbedingt erforderlich ist. Sobald der Sachverständige seine Untersuchungen abgeschlossen und die relevanten Daten dokumentiert hat, entfällt die Rechtfertigung für weitere Einschränkungen.
Unternehmen, die in ähnlichen Verfahren als Antragsgegner betroffen sind, müssen berücksichtigen, dass sie erst nach Abschluss der Besichtigung wieder frei über ihre Software verfügen können, sofern keine Anzeichen dafür vorliegen, dass die Beweismittel unvollständig gesichert wurden. Antragstellern zeigt die Entscheidung hingegen, dass sie das Risiko einer unvollständigen Beweissicherung tragen, wenn sie keine konkreten Anhaltspunkte für Manipulationen vorlegen können.
Beweissicherung ja, aber nur im notwendigen Umfang
Veränderungssperren bei Software-Besichtigungen sind zwar ein wirksames Mittel zur Beweissicherung, doch ihre Dauer muss streng begrenzt werden. Gerichte werden solche Sperren nur so lange aufrechterhalten, wie es für die Untersuchung unbedingt notwendig ist. Sobald die Beweismittel gesichert sind, überwiegt das Interesse des Antragsgegners an einer ungehinderten Fortführung seines Geschäftsbetriebs.
Die Entscheidung zeigt, wie Gerichte den Balanceakt zwischen den Interessen der Parteien meistern: Einerseits muss der Schutz geistigen Eigentums gewährleistet werden, andererseits dürfen die Eingriffe in die Rechte des Antragsgegners nicht weiter gehen, als es der Zweck der Beweissicherung erfordert. Für Unternehmen, die in Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten verwickelt sind, ist es daher ratsam, sich frühzeitig rechtlich beraten zu lassen, um ihre Rechte und Pflichten in solchen Verfahren genau zu kennen.
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